Saskia Schottelius hat im TAO-Verlag ihr neuestes Buch “Do – Der Weg zur inneren MeisterIn. KampfkunstPhilosophie fürs Leben.” veröffentlicht. Herausgegeben wird es von Chikara-Frauen in Bewegung e.V. und ist mit wunderschönen Illustrationen von Antje Meister versehen.
Am 20.11.2015 ab 19:00 ist Saskia Schottelius zu einer Buchpräsentation/Lesung bei 3 schätze zu Gast. Im Vorfeld habe ich ein Interview mit Saskia Schottelius geführt.
3 schätze: Liebe Saskia, ich freue mich, dass Du Dein neues Buch “Do – Der Weg zur inneren MeisterIn. KampfkunstPhilosophie fürs Leben.” demnächst in einer Lesung bei 3 schätze vorstellen wirst und über die Gelegenheit für dieses Interview.
Bevor wir über das Buch sprechen, was bedeutet CHIKARA?
Saskia Schottelius: Lieber Patrick, ich freue mich auch sehr und danke dir für diese schöne Gelegenheit, mich mit meiner Arbeit und meinen Gedanken präsentieren zu dürfen. „Chikara“ bedeutet „innere Kraft“, „Lebensenergie“, und ist der Name der Kampfkunstschule, die ich vor über 20 Jahren ins Leben gerufen habe. Du kannst es auch als Verbindung von Tai CHI und KARA te lesen und triffst damit gleich den Kern unserer Arbeit: die Verbindung von fernöstlicher Energiearbeit und japanischer Kampfkunst.
3 schätze: Du schreibst, dass sich Dein neues Buch an all jene wendet, die über fernöstliche Bewegung und deren buddhistisch fundierte Philosophie zu sich selber finden und über sich selbst hinaus wachsen möchten. Gleichzeitig geht es dabei um ganz praktische Techniken und Grundgedanken in einer FrauenKampfschule. Erzähl uns doch ein wenig über Deine Verbindung dieser beiden Wege, also Kampfkunst und Meditation bzw. buddhistischer Philosophie.
Saskia Schottelius: „Frauenkampfschule“ finde ich gut! In der Einleitung meines Buches gibt es eine kleine Stilkunde zum Shuri-Ryu-Karate und wie es von Okinawa über die USA und die Niederlande bis nach Bonn gekommen ist. Unterwegs hat es dann die „feministische Wende“ genommen, was bedeutet, Frauen haben sich dieses Stils bemächtigt, um ihren eigenen Interessen wie „Wehrbarkeit“ und „Sichtbarkeit“ Raum zu geben. So gesehen ist aus der Schule, die den „Frauenkampf“ der 70er beflügelt hat, eine Frauenkampfkunstschule geworden: Im Mittelpunkt steht die Stärkung der Persönlichkeit von Frauen, Kindern und Jugendlichen, um sich im Leben friedvoll behaupten zu können. Dabei ist der Geist dieser Schule ein anderer als der von Kampfsportschulen, die sich um Themen wie „Wettstreit“, „Aggressionsabbau“ oder „Abhärtung“ drehen. Die weibliche Seite der Kunst ist eine ganzheitlich stärkende, motivierende und friedfertige, wie ich sie unter anderem im Werk von Thich Nhat Hanh ausgedrückt finde. Deshalb war es mir so wichtig, ein Buch über Frauenkampfkunst zu schreiben, bevor diese wieder aus dem Blick gerät oder ganz verschwindet.
3 schätze: Erläutere doch bitte „Dokan, der Weg ist ein Kreis“ und die Wichtigkeit des „Anfängergeist“ im Karate.
Saskia Schottelius: Der Enso, der Kalligraphiekreis auf dem Umschlag meines Buches, deutet auf die Philosophie des „Dokan“: der Weg ist ein Kreis. Das hat mich am Beginn meines Karate-Weges am meisten fasziniert – stand es doch in direktem Gegensatz zu meiner (geradlinigen) Karriere als Wissenschaftlerin, der ich gerade nachjagte – oder vielmehr vorausjagte! Das machte mich zwar erfolgreich, aber nicht entspannt und zufrieden. In der Kampfkunstwelt erlebte ich etwas anderes. Immer wieder stand ich ganz am Anfang mit meinem Erlernten – ganz gleich, wie viel ich mich auch bewegte und bemühte. Aber nach und nach wich das Bedauern darüber. Eine neue Gurtfarbe macht keine Gehaltserhöhung – ist also aus Sicht unserer Gesellschaft nutzlos. Der Sinn liegt nur in deiner eigenen Entwicklung von Leichtigkeit, Großzügigkeit, Demut, Gelassenheit und Geduld, nicht aber in einem messbaren Wert. Und wenn du begreifst, dass das eigentliche Lernen erst mit dem Schwarzgurt beginnt, kommst du der Idee vom „voll-kommenen“ Kreislauf schon sehr nahe.
In meinem Buch finden sich viele asiatische Anekdoten, die bringen das wunderbar auf den Punkt: „Leere deine Schale“ gegen unser „Immer-bereits-wissen“ oder die Geschichte vom Fischer, die als „Anekdote zur Senkung de Arbeitsmoral“ durch Heinrich Böll berühmt wurde, oder die Parabel vom „Schwarzgurt werden“ anstelle von „Schwarzgurt sein“ – sie alle und viele mehr zeigen uns einen guten Weg weg vom Erfolgsdenken.
„Verändere Deine Sprache und Du veränderst Deine Welt!“
3 schätze: Ein Kapitel Deines Buches beschäftigt sich auch mit Achtsamer Kommunikation. Du hast „Kommunikationsforschung und Phonetik“ studiert und bietest auch Rhetorikseminare an. Aus einem Karate-Dojo kennt man vielleicht eine eher einseitige und auch hierarchische Kommunikation, in Form von Kommandos etc. Was ist die Sprache Deines/Eures Dojos bei CHIKARA?
Saskia Schottelius: Ja, die Sprache. Das ist natürlich meine ganz persönliche Leidenschaft. Mir ist im Laufe meines Lebens immer bewusster geworden, wie essentiell uns die Sprache prägt, und wie wichtig es ist, sich einer positiven, unterstützenden Sprache sich selbst und anderen gegenüber zu bedienen. Und wir können uns wirklich „bedienen“: die Sprache hält viele schöne Möglichkeiten bereit, ohne dass wir in Schönrednerei enden müssen. Es kommt immer vor allem auf die Perspektive an. Benenne ich meine Stärken oder meine Schwächen? Das was ich benenne, wird an Raum gewinnen und mich in meinem Leben dominieren. Diese Erfahrung mache ich auch in meiner Arbeit als freie Dozentin überall: ob mit Polizistinnen, PromovendInnen oder PolitikerInnen – alle sind sich vor allem ihrer Defizite bewusst. Und das Ganze wird verstärkt durch die vielen alten Muster, in denen wir denken und leben und die durch die Sprache in Form von Redensarten und Sprichwörtern konserviert werden. Doppelte Negationen anstelle von Lob, Unglücksperspektiven und Peinlichkeiten werden uns von klein auf eingetrichtert: „nicht von schlechten Eltern“, „wer einem eine Grube gräbt…“, „Eigenlob stinkt“ usw. Erst wenn wir anfangen, eine andere Sprache zu sprechen, können wir uns von dieser Macht befreien.
Eine andere Sprache können wir tatsächlich gut im Dojo üben. Das machen wir so bei „Chikara“. Am Ende der Stunde denken wir uns in der Meditation ein motivierendes Mantra („ich bin schön, ich bin stark, ich kann das“) und wir wertschätzen uns in der Abschlussrunde einmal selbst anstatt uns für unsere schlechte Kondition/ Koordination oder anderes zu rügen. Kleine Schritte, große Wirkung.
Ein paar ganz praktische Übungen dazu finden sich im Buch. Achtsame Sprache im Dojo heißt auch ganz konkret, dass die Unterrichtenden gendersensible Sprache sprechen, denn „erst wenn Frauen in der Sprache in Erscheinung treten, sind sie der Rede wert!“
Und damit sind wir beim noch weiter reichenden Konzept von „Körper – Sprache in Bewegung“…
3 schätze: Was genau ist damit gemeint?
Saskia Schottelius: Unsere Körperhaltungen verraten sehr viel über das, was uns im Leben bewegt. In meinen Seminaren und Kursen gibt es immer Einheiten wie die Taoistischen Gesundheitsübungen aus dem Qigong, durch die ich ganz viel von meinen TeilnehmerInnen erfahre.
Das ist natürlich ein großer Vorteil, vor allem wenn wir am überzeugenden Selbstausdruck arbeiten. Verändere ich die Körperhaltungen, verändere ich oft auch den Geist, der sich dahinter verfestigt hat. Also eine Ermüdung, eine Überforderung, eine große Zurückhaltung, dies alles und vieles mehr erscheint oft als hochgezogene Schultern, vorgeschobene Köpfe oder runde Rücken. Viele Frauen und auch Kinder machen so den ersten Schritt aus einer Opferrolle heraus.
Wenn wir noch eine Dimension tiefer gehen, kommen wir zu so gewagten wie auch einleuchtenden Thesen, dass Informationen durch Wasser übertragen werden können, Körper und Sprache der Botenstoff menschlichen Daseins sind und bestimmte Muster von Bewegungen universelle Strukturen widerspiegeln. Auch von diesen ominösen Dingen handelt mein Buch. Wichtig ist mir immer die Verbindung von Philosophie und Praxis: Was nützt mir diese Einsicht oder Idee für meinen Alltag und wie kann ich das, was ich im Dojo lerne, umsetzen.
3 schätze: Dein Verständnis, das Dojo als einen Ort von Beziehung, also der Begegnung und weniger der Konkurenz, ja sogar als Abbild des gesamten Kosmos zu sehen, deckt sich sehr mit dem, wie wir die Übung in einem Zen-Dojo sehen. Wie wichtig ist für Dich die Form, die Regeln in einer solchen Gemeinschaft?
Saskia Schottelius: Die Dojo-Etikette ist ein ganz wesentlicher Bestandteil einer Weg-Kunst. Indem wir uns verneigen, Gegenstände mit Respekt behandeln, uns uni-form kleiden (also ohne Statussymbole erscheinen) und im wesentlichen schweigen, üben wir uns in „rechter Achtsamkeit“, der zentralen Prämisse und Praxis aller Wegkünste.
Und es gibt ja so viele wunderschöne Wege neben Zazen und Kampfkunst, wie zum Beispiel den Teeweg, den Weg des Pinsels, den des Blumensteckens oder des Bogenschießens. Immer geht es darum, die vollkommene Aufmerksamkeit im Augenblick zu „atmen“ – und das bedeutet am Ende Freiheit. Von Plänen, Ärgernissen , Zielgerichtetheiten, Gier, von Sein-Wollen und Sein-Sollen, von eigenen und fremden Erwartungen usw.
Wenn wir erst einmal erlebt haben, dass sich das Gleichgewicht des Kosmos viel besser erhalten und regulieren kann, indem wir nicht eingreifen, bleibt uns faktisch ganz viel Stress erspart. Wir brauchen unseren Geist nur offen zu halten und dürfen die Dinge einfach kommen lassen. Die Mechanismen des „Wuwei“, des Handelns durch Nichthandeln, haben ihre eigenen Gesetze. Und wenn ich, wie im Dojo, lerne, meiner Intuition zu folgen, kann ich mich mit diesen viel besser verbinden.
3 schätze: Welche Rolle hast Du als Sensei in diesem System?
Saskia Schottelius: Ja, da übe ich natürlich genau so wie alle anderen in einem Dojo, einem Ort des Weges. Sensei heißt wörtlich „nur“ diejenige, die den Weg vorausgeht, also nichts Besseres, sondern einfach länger unterwegs. Die größte Herausforderung ist für mich tatsächlich nicht einzugreifen. Wenn Konflikte in mir aufsteigen oder sich bei anderen zeigen, übe ich mich in „weiser Zurückhaltung“. Die Kämpferin in mir, die gerne auf die Barrikaden geht, will jedoch etwas anderes. Das finde ich natürlich schwierig.
Am deutlichsten wird das vielleicht am Beispiel Gewalt. Meine Lebensefahrung ist, dass du größte, auch körperliche Gewalt mit Gewalt beantworten und in seine Schranken weisen musst, damit sie nicht die totale Macht erhält. Ich möchte aber keine Gewalt anwenden. Inzwischen halte ich es für das Beste, sich dem Negativen möglichst zu entziehen und dem Positiven so viel Raum zu geben, dass es an Einfluss und Dimension gewinnt. Resiliente Menschen, also solche mit besonderer innerer Widerstandskraft, helfen sich in Gefahrensituationen mit der Kunst, den Geist zu lenken – wie in einem Dojo auch. Mit jedem Kiai, dem Kampfschrei oder Atemstoß auf dem Höhepunkt einer Aktion, und jeder Kata, also Kampfform gegen imaginäre Gegner, verbinden wir uns mit einer Kraft, die weit über uns selbst hinausreicht. Das ist nicht nur Chi-Energie, das ist auch die Kraft positiver Visionen.
Oder liebevoll gesprochen: Wenn du ein Kind von schreiendem Schmerz oder Ärger befreien möchtest: „Schau mal, da hinten der Schmetterling, der hat ja ganz goldene Flügel!“ Und schon öffnen sich unsere Herzen mit einem Lächeln.
3 schätze:…lächelt…
Saskia Schottelius: …lächelt auch … So gesehen versteht sich doch unser Schluss-Satz wie von selbst…
„Ein gutes Kampfkunsttraining ist, auf diese Weise und als Wegkunst betrachtet, ein Beitrag zum Frieden auf dieser Welt“.